Zwei Findlinge in Bewegung; Margund Smolka

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Fotodokumentation

Ort

Halberstadt, Vorplatz und Innenräume der Zweigstelle der Deutschen Bundesbank, Westendorf 26, 38820 Halberstadt

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Künstlerin, Künstler

Margund Smolka

Technische Angaben

Werktechnik, Material

kinetische Skulptur, Stein, elektrischer Antrieb; LED Anzeige in Kunststoffröhre; Glasscheiben, Aluminiumbuchstaben; Acrylglasscheibe, LED Anzeige, elektrischer Antrieb

Maße

2 Findlinge: 350cm und 200cm Höhe LED-Zeit-Farbband: 720cm Länge, 18cm Breite Textblock: 86cm Breite, ca. 700cm Höhe Plastisches Wandobjekt: ca. 120cm Durchmesser

Kurzbeschreibung

Eine vierteilige Arbeit, die sich sowohl im Außenraum als auch im Innern des Gebäudes befindet:

Zwei Findlinge in Bewegung: Auf dem Platz vor dem Hauptgebäude der Deutschen Bundesbank in Halberstadt befinden sich zwei Findlinge. Sie haben eine Höhe von 350 und 200 cm. Sie bewegen sich sehr langsam und geräuschlos um ihre eigene Achse. Bedingt durch ihre unregelmäßige Form scheint sich der Abstand zwischen ihnen permanent zu verändern.Sie drehen sich im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn; es stehen entweder beide gleichzeitig oder unabhängig voneinander still; manchmal laufen sie parallel. Die Bewegungen der Findlinge sind so langsam, dass der Betrachter oft erst auf den zweiten Blick erkennt, ob ein Stein sich dreht, oder ob er steht, oder er wird erst durch die veränderte Position der Steine auf ihre Bewegung aufmerksam.

LED-Zeitband: Über dem Haupteingang, in unmittelbarer Nähe der Findlinge, befindet sich das LED- Zeitband. Es besteht aus einer linear verlaufenden Zeitanzeige, auf der die Uhrzeit eines Arbeitstages zwischen 8.00 Uhr und 17.00 Uhr ablesbar ist. Anhand der über und unter dem Realzeitband verlaufenden Farbfeldstreifen sind die Bewegungsschemata der Findlinge ablesbar.

Textblock: Betritt man von außen kommend das Treppenhaus, so sieht man an der Wand einen Text aus matten Aluminiumbuchstaben, montiert auf eine Glasplatte, die sich vom Boden bis zur Decke über eine Höhe von sieben Metern erstreckt. Der Text besteht aus 33 aufeinander bezogenen Begriffspaaren. Die Inhalte der Wortpaare mit den sich eröffnenden Assoziationsräumen stehen in wechselseitiger Beziehung mit der Außenplastik.

Kreisobjekt: Im allgemeinen Kundenraum wird direkt neben dem Tresen ein plastisches rundes Wandobjekt plaziert. Bei dieser Arbeit werden die verschiedenen Aspekte der drei anderen Arbeiten zu einem komplexen Gebilde verbunden. Die Realzeiterscheit als Ziffer im Mittelpunkt, die Bewegungsabläufe sind hier in konzentrischen Kreisen dargestellt und die Worte drehen sich auf einer transparenten Scheibe.

Zeitangabe

Entwicklung 1999, Realisierung 2000

Inhaltliche Beschreibung

Bevor in Halberstadt eine Filiale der Landeszentralbank gebaut werden konnte, war das Grundstück 1995/96 Gegenstand archäologischer Erkundungen. Seit Gründung blickt die Stadt auf eine 1200 Jahre alte, wechselhafte Geschichte zurück, die anhand der Ausgrabungen rekonstruiert werden konnte, bei denen sowohl spät-bronzezeitliche Gefäße, wie auch Töpferwaren aus dem 16. Jahrhundert zum Vorschein kamen.

„Margund Smolkas vierteilige Installation, die im Rahmen eines Projektes zur Kunst am Bau für das neue Gebäude entwickelt wurde, reagiert auf den Wandel. Sie hat das Thema „Zeit-Raum-Bewegung“ von den abstrakten Begriffen aus in eine visuelle Situation übertragen, bei der sich die gedankliche Dimension mit der konkreten alltäglichen Erfahrung kreuzt und durchdringt wie die verschiedenen historischen Schichten vor und während der Bauphase. Gewaltige urtümliche Steine treffen auf eine hochtechnische Apparatur zur Zeitmessung, Textblöcke mit 33 aufeinander bezogenen Begriffspaaren werden zu einem auf Glas montierten Wortbanner für die Kunden im Innenraum der Bank, das „Plastische Wandobjekt“ mit 24-Stunden-LED-Anzeige, Farbfeld - und rotierenden schwarzen Textringen bündelt noch einmal die differierenden Ebenen von Zeit, Raum und Bewegung. Im Dialog der vier Arbeiten untereinander, aber auch in Beziehung zum Betrachter setzt Smolka ein Wechselspiel in Szene, das auch als Wortpaar in ihren „Textblock“ passen würde: Uberdauern und Zufall.

Für diese Koppelung des Gegenläufigen sind schon die beiden Steine exemplarisch, die tonnenschwer auf dem Platz vor dem Haupteingang deponiert sind. Die beiden Findlinge wirken zunächst wie Fremdkörper an dieser exponierten Stelle im Stadtbild. Schließlich zeugt auch der zweite Name, den ihnen die Geologie gegeben hat, von der Willkür der Standorte, an denen solche Steine gefunden wurden: Es sind ,,erratische Blöcke“, nach dem lateinischen errare = herumirren. Als Folge der Eiszeit waren sie die Hinterlassenschaft schmelzender Gletscher, also zufällige Uberbleibsel einer sich wandelnden Natur. Doch für Halberstadt hat Smolka ihre Stücke nicht aus der Umgebung geholt, sondern von der dänischen Halbinsel Lolland und aus dem Odenwald herbeigeschafft. Insofern sind sie doppelt fremd: Sie stammen von fernen Plätzen und kommen aus einer weit zurückliegenden Zeit. Vielleicht macht sie diese fehlende Zugehörigkeit, ihre verbindungslose Präsenz in der Gegenwart aber auch zu besonderen Reliquien vergangener Epochen. In der Mark Brandenburg jedenfalls gelten die „Hünen- oder Riesenbetten“2 im Norden ab 10 m2 und im Süden schon ab 1 m2 als schützenswert. Außerhalb der Städte begegnet man Findlingen vor allem an den Rändern von Feldern oder Landstraßen und Autobahnen. Dort sind sie nicht unbedingt nur Zeichen für den Respekt vor früheren Epochen, sie sind auch der Triumph über die Vergangenheit. Das mächtige Gestein wird beiseite geschafft, um für die Zivilisation Platz zu machen, sie sind überhaupt jeder Kulturstiftung im Wege - egal ob Acker- oder Straßenbau. Insofern obsiegt in ihrem Abtransport menschliches Geschick, das heißt Arbeit, über den zufällig formierten Naturzustand. Zugleich hat ihr solitärer Charakter die Steine zu Schauplätzen mythischer und magischer Rituale gemacht, das gilt für Stonehenge ebenso wie für heidnische Opferstätten.

Bei Smolka dienen die Findlinge jedoch weder dem Kult noch dem Andenken einer vergessenen Stufe der menschlichen Entwicklung. Statt dessen werden sie bei ihr zu Stellvertretern, wenn nicht gar Sachwaltern einer technisch organisierten Arbeitswelt. Während der Geschäftszeiten drehen sich die beiden BIöcke auf zwei von Motoren angetriebenen Plattformen um ihre eigene Achse, von 8.00 Uhr morgens bis abends um 17.00 Uhr. Dabei vollzieht sich die Bewegung für das Auge kaum merklich in völlig unterschiedlichen Rhythmen. Unabhängig voneinander laufen die Motoren mal im, mal gegen den Uhrzeigersinn und selbst die jeweilige Geschwindigkeit lässt sich variieren Fur Smolka gewahrt der Aufwand, mit dem die Steine in Rotation gebracht werden, den Objekten einen nahezu unerschöpflichen Handlungsspielraum: „Da die Findlinge in sich sehr asymmetrisch geformt sind - der dänische Findling beispielsweise hat eine breite und eine extrem schmale Seite -, ergibt sich, dass sich der Abstand zwischen den Steinen unentwegt verändert - so scheinen sie mal sehr nahe und dann wieder weit voneinander entfernt.“

So wird die zunächst absurde Situation zum Ebenbild des Bankenalltags. Denn dort gleicht bei der Abwicklung von Geldgeschäften kein Augenblick dem anderen, auch wenn Abweichungen und Veränderungen in diesem Umfeld von der Kundschaft ebenso wie von den Angestellten zumeist kaum wahrgenommen werden. Die Kunst setzt bei Smolka genau an dieser scheinbaren Ununterscheidbarkeit von Prozessen an, schafft spielerisch eine Kluft von Augenblick zu Augenblick: Hier der sichtbar physische Wandel in der Konstellation der Steine, und dort die täglich verrichtete Arbeit. Beides basiert auf dem Dialog, der „Kunst des Handelns“, wie es der französische Philosoph Michel de Certeau genannt hat; und beide Abläufe stehen im unentwegten Dialog miteinander, bis zum Geschäftsschluss. (...)

Sie sind es am Ende, die Zeit und Raum in Bewegung setzen, in diesem Zwischenraum findet die Kunst bei Smolka statt. Deshalb kann man auch den Aberwitz, der in der Beweglichkeit der Steine draußen auf dem Platz vor der Bank liegt, als eine Aufforderung verstehen: Jeder Situation wohnt noch in der Alltäglichkeit etwas Poesie inne. Poesis meint in seinem griechischen Ursprung nichts anderes als Hervorbringung. Die Findlinge hat die Natur hervorgebracht, jetzt ist es Sache des Betrachters, ihr ebenso schöpferisch nachzueifern. Dafür hat Margund Smolkas Kunst-am-Bau-Projekt ihm eine ganze Reihe an Medien zur Verfügung gestellt.“

Quelle: Harald Fricke in: “Eine zufällige Begegnung, ortsbezogen - Gegensätze auf Deckung bringen“ in „Margund Smolka - Eine vierteilige Installation für die Deutsche Bundesbank in Halberstadt“, Hrsg Deutsche Bundesbank 2004

Organisatorischer Rahmen, Eigentümer

Geladener Künstlerischer Wettbewerb 1999 der Deutschen Bundesbank anlässlich des Neubaus der Zweigstelle Halberstadt; Eigentümer: die Deutsche Bundesbank, Hauptverwaltung Hannover

Kooperationen

Construktions-Licht GmbH, Berlin

ER + TE Stahl- und Metallbau GmbH, Zerbst

Gerhard Heerlein + Söhne, Berlin

IREAL – Maschinen & Anlagentechnik GmbH, Berlin

Kahlstorfer Natursteinhandel – Hans-Dieter Spyra

PH. Ludwig Wilferth – Granitwerk, Lichtenberg / Odenwald

SCHÄFER Krantechnik GmbH, Halberstadt

Stephan Schmitt – NATIVE INSTRUMENTS, Berlin

STRATIE GmbH, OBL Halberstadt

Diskussion

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